Dienstag, 15. November 2016

VeniVidiValpo - Ich kam, sah und arbeitete (?)



...naja, obwohl ehrlich gesagt finde ich den Begriff „Arbeit” eher unpassend. Einer der Gründe dafür ist, dass wir in vielen Projekten ja auch von Jugendlichen aus Chile begleitet werden, die ihre Freizeit dafür investieren und für die das alles auf freiwilliger Basis läuft. Irgendwie ist es dann ja nicht angemessen, das Ganze für uns als „Arbeit“ zu bezeichnen, oder? Zudem weiß ich auch nicht, ob ich es als „Arbeit“ sehen möchte, Zeit mit Menschen zu verbringen, die mir mittlerweile auch ans Herz gewachsen und mir wirklich wichtig sind. Aber gut, um das vielleicht besser nachvollziehen zu können, lest euch einfach meinen folgenden Artikel über unsere Projekte durch, in denen wir hier unterwegs sind, viel Spaß dabei :-)

Eine normale Woche (okay, ich kann mich eigentlich nicht daran erinnern, hier mal eine „normale“ Woche erlebt zu haben :D) sieht bei uns folgendermaßen aus: Montags und Donnerstags gehen wir in die Schule, das „Colegio Jorge Williams“, das in irgendeiner Art und Weise zum Guay gehört. Der Unterschied zu einer deutschen Schule könnte eigentlich nicht größer sein: Schon allein was Disziplin und Mitarbeit betrifft, kann man das überhaupt nicht vergleichen. Aber, dass einige Kinder dort über Stühle und Tische springen und die Lehrer teils machtlos sind (meinen größten Respekt an all die Lehrer, die es schaffen, sich in den Klassen durchzusetzen!!), sollte man vielleicht auch vor dem sozialen Hintergrund sehen. Nach einiger Zeit wurden wir nämlich darüber aufgeklärt, dass in dieser Schule Kinder aufgenommen werden, die andere Schulen aus Verhaltensgründen nicht haben wollten und mittlerweile sind uns auch schon einige Geschichten von Kindern bekannt, die hier anscheinend keine Seltenheit sind. Wenn einem eine 3.-klässlerin ganz trocken erzählt, dass ihr Vater sie geschlagen hat oder ein 1.-klässler selbst zum Elternabend geht, da sich seine Eltern nicht dafür interessieren, stellt man sich schon die Frage, wie man diesen Kindern eigentlich irgendwas vom Leben erzählen will. Aus diesem Grund fühlen wir uns auch noch ein wenig unsicher bei einem neuen Projekt, das wir gestartet haben. Immer nach der Pause gehen wir zu zweit durch die Klassen und machen eine kleine Aktivität mit den Kindern zu einem bestimmten Thema. Bis jetzt hatten wir Toleranz, Freundschaft und Solidarität und unser Ziel ist es, den Kindern eben diese Werte zu vermitteln, da sie die eben oftmals einfach nicht von Zuhause mitbekommen. In den Klassen 1-4 kommt das auch immer noch super an und die Kinder sind jedes Mal total begeistert, aber bei 5-8 ist das Ganze dann schon schwieriger… das liegt zum einen einfach am Alter, zum anderen aber vermute ich auch einfach an unserem Hintergrund. Daher ist es eben nicht gerade einfach, wie gesagt: wieso sollten sie sich von vier weißen Mädels aus dem reichen Deutschland, die in ihrem Leben noch nicht mal die Hälfte von dem durchgemacht haben, was wahrscheinlich jedes Kind dort schon hinter sich hat, etwas vom Leben erzählen lassen? Ich weiß es nicht, aber was ich weiß, ist, dass ich bei einigen das Gefühl hatte, dass wenigstens ein bisschen was angekommen ist und wer weiß, vielleicht reicht das ja schon aus, um etwas zu bewirken. Auch mit der Sprache ist es hier nicht immer ganz einfach, kleine Anekdote zu diesem Thema: bei unserer Aktivität zum Thema „Solidarität“ sollten die Kinder einmal eine Woche lang auf ihr Umfeld achten und hatten dazu einige Aufgaben, z.B. Einer Person, die sie nicht so gut kennen, ein Kompliment machen. Doch was schreiben wir mit unserem noch nicht ganz so perfekten Spanisch? Übersetzten „ein Kompliment machen“ mit pilopear, was so viel heißt, wie: jemandem auf der Straße hinterherpfeifen! Das war der ultimative Fail des Jahres und war uns auch dementsprechend peinlich, aber was soll man sagen: nobody´s perfect! ;-)

Okay, so viel zu unserem neuen Projekt, das eher so nebenbei läuft. Nach wie vor teilen wir uns immer noch zwei-zwei auf, wobei eine Gruppe in den Kindergarten geht und die andere in die Klassen. Vom Kindergarten habe ich ja in meinem letzten Artikel schon kurz was berichtet. Wenn die Kinder nicht gerade etwas lernen müssen oder Tests (!) schreiben, versuchen wir, ein bisschen Programm mit ihnen zu machen, sprich: etwas basteln, singen, spielen oder ihre Lieblingsbeschäftigung: einfach kuscheln. In den Klassen kamen wir uns nach wie vor eher unnötig vor, weswegen wir mit dem Direktor gesprochen haben und er uns folgendes Angebot gemacht hat: Wir dürfen eine komplette, ziemlich kaputte Wand im Pausenhof neugestalten! Das ist ´ne Menge Arbeit, aber die Idee hat uns sehr gut gefallen. Jetzt sind also immer zwei von uns mit den Kindern im Kindergarten beschäftigt und die anderen zwei mit malen :-) Was ich in der Schule aber mittlerweile echt genial finde, ist, dass die Kinder langsam Vertrauen zu einem entwickeln. Sie kommen in der Pause zu uns, wollen umarmt werden und uns erzählen, wie es ihnen geht und was sie am Wochenende erlebt haben, das genieße ich wirklich sehr!
 
Die Grundierung steht!





sind sie nicht süß, unsere Kinder?

Unser letztes Projekt in der Schule ist der Curso de Líderes, von dem ich auch im letzten Artikel schon berichtet habe. Nach wie vor kommen jeden Freitagnachmittag ungefähr 10 7.-klässler in unseren Jugendkreis, die wir auch schon alle total ins Herz geschlossen haben. Wir machen Spiele und eine kleine Andacht und ich muss sagen, von allen Klassen, die die Schule zu bieten hat, hätten wir keine bessere als die 7. bekommen können! Im letzten Curso haben wir einen Ausflug zum Guay gemacht und dort eine Hausralley durchgeführt, was bei allen wirklich gut ankam :-)

Neben unseren Aktivitäten in der Schule sind wir vor allem am Wochenende hier im Guay ziemlich eingespannt. Freitagabend haben wir einen Taller de Missión, vergleichbar mit einem Jugendkreis. Die Jugendlichen haben mehr oder weniger unser Alter und organisieren sich Großteils selbst, was bedeutet, dass wir zwar ab und zu was für diesen Taller vorbreiten müssen, aber eigentlich eher Teilnehmer sind. Und sollte doch mal keiner etwas vorbereitet haben, spricht der Jugendleiter Juan einfach wieder über seinen Lieblingsbibeltext ;-) Im Rahmen des Tallers gehen wir so gegen 8 Uhr immer mit Brot, Tee und Bibelversen im Gepäck zum Plaza Ecchauren, ein Platz, an dem sich viele Obdachlose aufhalten. Man glaubt gar nicht, wie schnell man mit den Leuten dort über alles Mögliche ins Gespräch kommt und ich hätte diese Art von Arbeit früher für nie als so wichtig eingestuft. Aber wenn ich sehe, wie ein Mensch in Tränen ausbricht, einfach aus Dankbarkeit, weil ihm jemand zuhört, während er über seine kaputte Familie redet oder wir als „Engel“ bezeichnet werden, da wir mit einem Mann geredet haben, der meinte, wir seien die Ersten, mit denen er seit drei (!!) Tagen geredet hat, dann weiß ich, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin! Wenn wir nach dem Plaza Ecchauren noch Brötchen und Tee übrighaben, gehen wir anschließend ins „Ejercito de Salvación“, ein Haus, in dem Obdachlose für wenig Geld übernachten können. Ich muss mir ehrlich eingestehen: Als ich dieses Gebäude zum ersten Mal betreten habe, konnte ich gar nicht beschreiben, wie furchtbar ich es dort fand! Es handelt sich einfach um einen großen Raum, in dem 30 Stockbetten stehen und ein Bad, das mehr oder weniger davon abgetrennt ist. Mittlerweile finde ich die Zustände dort immer noch furchtbar, aber es fällt mir leichter, hineinzugehen, da es eine einmalige Möglichkeit ist, Gespräche mit den Menschen zu führen. Es ist teilweise so unglaublich, aus welchen Gründen diese Leute alles verloren haben, aber trotzdem noch an Gott festhalten. Dort würden wir gerne noch etwas mehr machen, aber dazu fehlen aktuell die finanziellen Mittel... abwarten!




Am nächsten Tag um 10:30 Uhr findet ebenfalls ein curso de líderes, sprich eine Art Jugendleiterkurs, statt. Die Teilnehmer sind alle so im Alter von 12-17 und einige bereits ausgebildete Jugendleiter halten den Kurs zusammen mit Juan und uns. Das Programm variiert sehr und hängt auch immer von der Motivation der zuständigen Person ab, sprich manchmal gibt es 1,5 Stunden volles Programm mit Spielen, Andacht und Singen und manchmal eben… nicht :D. Nach dem Curso so gegen 12:30 Uhr fangen wir alle an, das Mittagessen für den anschließenden „Comedor Solidario“ vorzubereiten. Hier sind alle bedürftigen Leute zum Essen in den Guay eingeladen, wobei wir jedes Mal viele bekannte Gesichter vom Abend vorher erkennen. Das ist jedes Mal eine große Spannung, da man nie weiß, wie viele Leute kommen und wie viel Essen man kochen muss. Mal sind es 40, mal nur 15, man kann es wirklich überhaupt nicht einschätzen. Aber im Großen und Ganzen bringen wir es immer ganz gut über die Bühne, singen 1-2 Lieder, lesen eine kleine Andacht vor und servieren das Essen. Wenn jeder von den Obdachlosen etwas hat, holen wir uns selber etwas und setzten uns dazu, wobei sich auch sehr oft noch total gute Gespräche ergeben.






Einen weiteren Punkt, den wir seit einigen Wochen noch auf unserem Plan haben ist einmal in der Woche der Besuch im „Centro Comunitario“ (Gemeinschaftszentrum) in Las Canas, einem der vielen Hügel. Zu Beginn hatten wir einen riesigen Ehrgeiz, die Aktivitäten, die es dort gibt, zu besuchen, da wir eben auch von vorherigen Jahrgängen erfahren hatten, dass sie dort oft waren und viel gemacht haben. Vor allem der Jahrgang von vor drei Jahren hat sehr viel beim Wiederaufbau nach einem großen Brand geholfen (wen es interessiert, kann sich zu diesem Brand auch noch ein paar Bilder im Internet anschauen, es sieht wirklich heftig aus, wie ein kompletter Hügel einfach so abbrennen kann!) Bis jetzt waren wir eigentlich erst bei zwei der Aktivitäten dabei, deren Curso de Líderes und einem Taller de Mujeres („Frauenkreis“). Vor allem im Taller de Mujeres hatte es uns das erste Mal total gut gefallen und wir haben uns gleich willkommen gefühlt, was jedoch ein wenig nachgelassen hat… Da müssen wir erst noch mal abwarten, wie sich das Ganze weiterentwickelt und ob wir dort weiterhin hingehen.



Jetzt aber wirklich zu meinem letzten Punkt zum Thema „Arbeit“. Wie ich ebenfalls schon mal kurz erwähnt hatte, bieten wir einen Deutschkurs für Anfänger an. Nach wie vor haben wir ca. 15 Schüler in unserer Klasse, ein bunt gemischter Haufen zwischen 12 und vielleicht 50 Jahren. Ich weiß nicht, wieso, aber irgendwie hört es sich einfach total goldig an, wenn sie mir alle im Chor nachsprechen: ich frage, du fragst, er/sie/es fragt, …  Vor allem, wenn dann alle auch noch so schön ihr „r“ rollen, weswegen ich nach der Deutschstunde zum Thema Verben auch nochmal ordentlich Ärger von meinen Mädels bekommen habe, ich solle doch bitte aufhörten, den armen Chilenen meine fränkische Aussprache beizubringen ;-) An sich ist der Kurs gratis, aber wir haben auf die Einladung geschrieben, wer denn möchte, kann gerne Spenden für den Comedor mitbringen. Und wir hätten uns nie erträumen können, wie viel Essen da zusammenkommt! Packungen von Nudeln und Reis türmen sich jede Woche in der Küche, einfach genial!

Puuuh, das war jetzt viel, aber nachdem ich schon von so vielen Leuten gefragt wurde, was genau ich eigentlich hier mache, dachte ich mir, ich berichte mal etwas ausführlicher darüber :-) Ich hoffe, der Artikel war euch nicht zu lang und ihr fandet ihn halbwegs interessant ;-)

Neben unseren ganzen Aktivitäten hier erleben wir aber ja auch sonst noch jede Menge! Ich will gar nicht mehr viel schreiben, aber hier noch ein paar Bilder aus unseren letzten paar Wochen:




Jaaa wir haben eine kleine Katze!! Sie heißt Mojita und wohnt jetzt seit 3 Wochen bei uns! Wir sind alle total verliebt in sie und wollen sie gar nicht mehr hergeben, auch wenn sie schon recht anstrengend ist. Da sie erst ungefähr zwei Monate alt ist, will sie sehr viel kuscheln und spielen, aber da ist sie bei uns eigentlich auch an der richtigen Adresse ;-)






Hier waren wir auf „Enali“, dabei handelt es sich um eine Art Seminar, in dem sich Jugendliche von den sechs ACJs in Chile treffen. Es werden Erfahrungen ausgetauscht, Vorträge angehört, Spiele gespielt und einfach die gemeinsame Zeit genossen! Normalerweise wird auch noch ein Präsident gewählt, doch dieses System wurde dieses Jahr spontan über den Haufen geschmissen, willkommen in Chile ;-)

letzte Woche gab´s einige Aufräumarbeiten im Keller des Guays zu erledigen.
 
Frühstück am Meer an unserem freien Tag, was will man mehr?



Achja, und vor zwei Wochen hatten wir auch unser erstes kleines Erdbeben! Wir waren relativ weit vom Epizentrum weg und befanden uns in einem stabilen Gebäude, es war also nicht wirklich krass, aber wenn auf einmal alles für 5 Sekunden wackelt, ist das schon mal eine ganz neue Erfahrung! 

Das war´s soweit von mir! Danke für eure Spenden und Gebete! Achja, und über Post freue ich mich natürlich auch immer, nur so als kleiner Hinweis ;-)
Liebe Grüße, eure Jane!

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